Robert Habeck: Eine politische Biografie by Susanne Gaschke

Robert Habeck: Eine politische Biografie by Susanne Gaschke

Autor:Susanne Gaschke
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
veröffentlicht: 2021-07-30T07:20:18+00:00


7. Kapitel

»Sprache ist das eigentliche Handeln«

Zu fast jeder politischen Lebenssituation verfasst Robert Habeck das passende Buch und wird sich im Schreibprozess darüber klar, was er sagen will und welche Fragen er für vordringlich hält.

So war es 2010, als er Patriotismus. Ein linkes Plädoyer schrieb. Damals war Habeck Fraktionsvorsitzender der oppositionellen Grünen im Kieler Landtag, eine Rolle, die ihm sehr lag. Er hatte stets Publikum, stellte durch sein Redetalent die meisten Kolleginnen und Kollegen in den Schatten und war nicht von der Verpflichtung belastet, das, was er versprach und forderte, auch administrativ umsetzen zu müssen. Bereits vor zehn Jahren muss Habeck klar geworden sein, dass die Grünen größere Erfolgsaussichten und mehr Koalitionsmöglichkeiten haben würden, wenn sie sich auf die bürgerliche Mitte ausrichteten, als dies für sie als linke, radikal-ökologische Partei möglich sein würde. Patriotismus ist das Buch, in dem er für diese Neuorientierung wirbt. Schon der Klappentext des Verlages ist Programm: »Habeck hat sich als einer der Ersten für einen neuen Kurs der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit eingesetzt.«

Grüne Eigenständigkeit, dieses Stichwort ist den Grünen im Norden sehr wichtig und bedeutet in einfacher Sprache, dass sie nicht ewig die als »Kellner« verspotteten Mehrheitsbeschaffer für den »Koch« SPD bleiben wollten. Dass sie auf eigene Mehrheitsfähigkeit setzen, dafür aber um die gesellschaftliche Mitte werben müssen. Dass es nicht nur um die Veganerin geht, sondern auch um den Wähler, der gern Würstchen und Kotelett auf den Weber-Holzkohlegrill wirft. Habeck reklamiert die Urheberschaft des Konzepts der eigenen Mehrheitsfähigkeit für sich und seinen Freund Konstantin von Notz. Andere schleswig-holsteinische Grüne erinnern sich, dass durchaus noch weitere Spitzengrüne an der Neuausrichtung der Partei mitwirkten, zum Beispiel die heutige Finanzministerin Monika Heinold.

Für die bürgerliche Wende der Grünen das Thema »Patriotismus« zu wählen war jedenfalls genauso genial wie provokant. Aus grünem Munde klingt es hinreichend ungewohnt, um auch bisherige CDU- oder FDP-Wähler aufmerksam zu machen. Zugleich kann es aber die anti-nationalistischen Eine-Welt-Gefühle des Stammpublikums verletzen. Habeck ruft also erst einmal das Stichwort Patriotismus auf, um sich gleich wieder davon zu distanzieren: »Patriotismus, Vaterlandsliebe also, fand ich stets zum Kotzen«, schreibt er. »Ich wusste mit Deutschland nichts anzufangen und weiß es bis heute nicht.« Er dekonstruiert den Begriff in poststrukturalistischer Manier: Patriotismus, das sei zunächst einmal nicht mehr als eine leere Hülle, »nichts Vergangenes, nichts ein für alle Mal Gegebenes«. Ähnlich wie die amerikanische Philosophin Judith Butler »Geschlecht« nur für ein soziales Konstrukt hält, soll auch »Patriotismus« nach Habecks Vorstellung rein sprachlich neu definiert werden können: »Linker Patriotismus organisiert die Gesellschaft«, schreibt er. »Ausgeschlossene sollen von ›unserem Land‹ reden können.« Es gehe um einen »rationalen Gesellschaftsvertrag«, der nichts mehr mit Traditionen, gemeinsamer Geschichte und Kultur zu tun zu haben braucht: »Wenn die einen profitieren sollen, müssen die anderen verzichten«, schreibt Habeck. »Sie müssen mehr Steuern zahlen, tolerant sein, anderes zulassen. Die Frage ist, ob es gelingt, die notwendigen Umstellungen so zu erklären, dass sie nicht als Opfer oder Verzicht wahrgenommen werden, sondern als etwas, das ›unser‹ Leben reicher macht.«

Übersetzt heißt das, dass Patriotismus in Deutschland nicht Vaterlandsliebe, sondern Liebe und Integrationsbereitschaft für die ganze Welt bedeuten soll.



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